Über die Jahre hin hat sich im Rahmen eines weitgespannten Netzes von Wissenschaftlern und Sammlern eine Art „Triumvirat“-Spiel etabliert. Sein Inhalt ist die Kupferstich-Arbeit von Anton Würth, speziell seine Auseinandersetzung mit alten Meistern des Fachs aus verschiedenen Epochen. Besonders Armin Kunz hat sich vielfältig engagiert. Zusammen mit seinem Compagnon Carlo F. Schmid betreibt er das renommierte Kunsthaus C.G. Boerner in New York und Düsseldorf, und Anton Würths facettenreiche Arbeit, als Künstler, als Drucker, als Theoretiker fördert das Haus und vertritt es gegenüber Sammlern seit geraumen Jahren. In Offenbach erfreut sich Stefan Soltek im Klingspor Museum der Nachbarschaft des Künstlers, und es kommt zum Erwerb der ein oder anderen Arbeit für die Offenbacher Grafischen Sammlungen im Klingspor Museum wie im Haus der Stadtgeschichte. Dass beide Häuser Mitglieder von AEPM sind unterstützt das Interesse und die Freude daran, hier den Text von Armin Kuntz über die jüngste Suite Würths zu platzieren. Viel Freude dabei!
Gedruckte Versöhnung
Armin Kunz zu Anton Würths Versuch über Runge
Beginnend 2007 mit zwei Graphikfolgen, die einen künstlerischen Dialog mit dem französischen königlichen Hofkupferstecher Robert Nanteuil (1623–1678) aufnahmen, hat Anton Würth (geb. 1957) im Verlauf der letzten Jahre immer wieder die Werke wichtiger Ahnen im Medium des Kupferstichs aufs genauste studiert. Diese intensiven Beobachtungen von Kleinmeister-Ornamenten, barocken Gartenbüchern, und zuletzt der Kupferstiche Albrecht Dürers (1471–1528) helfen Würth bei der ständigen Verbesserung seiner eigenen Grabsticheltechnik. Die Eleganz von Nanteuils taille, die Präzision, mit der Dürer Körper durch modulierende Linien formt, die erstaunlichen Schwärzen Schongauers, oder die Schnörkel barocker Ornamentierungen lassen immer wieder neue Erfahrungswerte in die eigene künstlerische Praxis einfließen. Die daraus resultierenden Werke bleiben dabei jedoch frei von jeglicher historisierender Aneignung, wie sie so oft in zeitgenössischer Kunst anzutreffen ist. In den Worten der Kritikerin Faye Hirsch, einer langjährigen Begleiterin von Würths Schaffen, “übernimmt er historische Stile weder um ihrer Wirksamkeit willen noch aus einer Abwehrhaltung heraus. Schaut man sich seine rätselhaften, ja paradoxen Bildfindungen genau an, so könnte man sagen, dass Würth von seiner genauest kalkulierten Position zwischen Abstraktion und Repräsentation, Einmaligkeit und Wiederholung, Dekoration und Inhaltlichkeit aus und mittels einer bewusst altmodischen medialen Vermittlung einige der elementaren Fragestellungen der Kunst unserer postmodernen Zeit berührt.”
Würths neueste künstlerische Konversation fand mit dem deutschen Romantiker Philipp Otto Runge (1777–1810) und dessen großformatigem und durchaus rätselhaftem Graphikzyklus Die Tageszeiten statt. Bei Runge spürte Würth eine Geistesverwandtschaft, entzieht sich doch beider Kunst einfacher Konsumierung. Mehr noch, Runges Bezugnahme auf ornamentale Formen berührt sich mit Würths eigenem Verständnis des Ornamentalen. Für ihn ist Ornament die perfekte Visualisierung des „interesselosen Wohlgefallens“, das seit Kant das Wesen der Schönheit beschreibt. Die gestochene Linie schwankt noch “zwischen Bedeutung und Selbstsein, zwischen Fremdbezug und Selbstbezug”. Sie ist der “Ort, an dem die hergebrachte Einheit von Form und Inhalt eines Zeichens in Frage gestellt wird”. Formt sie sich aber zum Ornament, so wird diesem “bildlichen Ausdruck die Möglichkeit einer begrifflichen Unterscheidung entzogen, um dadurch sein ‘So-Sein’ herauszustellen. Ich verweise nicht auf etwas, das auβerhalb des Verhältnisses von Markierung/Nicht-Markierung liegt, sondern ich zeige lediglich das, was in seiner Unmittelbarkeit wahrnehmbar ist” (A.W.).
Die Kupferstichfolge Versuch über Philipp Otto Runge (2019–20) übernimmt zunächst die Strukturierung in Rahmen und Bildzentrum. Doch während Runges Vorbild in den Rahmungen durchaus erkennbar bleibt, sind die Bilder selbst ganz Würths eigene Erfindung. Lediglich das erste Blatt, Kleiner Morgen, greift in seinem zentralen Motiv auf David Hockneys frühes Gemälde Man in Shower in Beverly Hills von 1964 zurück (Tate Modern, London). Die dreiblättrige Pflanze dort im Vordergrund bot sich in ihrer scharfen, vom Gegenlicht der Morgensonne erzeugten Silhouette geradezu als Metapher für eben diesen “Morgen” an und befreite Würth letztlich von dem Bann, den Runges Bildfindungen auf ihn zu Beginn dieses Projekts ausübten. Nur so gelang ihm die freie Gestaltung der inneren Felder in seiner eigenen Bildsprache.
Runges einfache Linienführung findet ein Echo in der spielerischen Leichtigkeit von Würths Stichen, hinter der sich jedoch nicht nur die intellektuelle Komplexität der Werke sondern auch das intensive Studium, die sorgfältige Planung und die gewissenhafte Ausführung der Werke verbirgt. In den letzten Jahren begann auch die Wahl des Papiers eine immer gröβere Rolle zu spielen, insbesondere nach der Begegnung mit dem japanischen Gampi-Papier, welches Rembrandt in einigen seiner späten Graphiken benutzte. Die Folge Versuch über Runge ist auf leicht elfenbeinfarbigem 8 monme Echizen Ganpi gedruckt, das der Künstler als regelmäβiger Japanfahrer in der Regel selbst aus Tokio mitbringt.
Die Endprodukte sind alles andere als aufmerksamkeitsheischend. Es ist sogar geradezu unmöglich, ihnen in reproduzierter Form gerecht zu werden. Stattdessen fordern sie den Betrachter zum sorgfältigen Hinsehen auf. Und so unternimmt Würths graphische Kunst in ihrer besten Form den Beweis, dass auch aus der schweiβtreibenden Arbeit am Kupfer und dem farbverschmiert schmutzigen Prozess des Druckens am Ende dann doch ein Ideal von Schönheit aufscheinen kann. Gerade jetzt, da wir gezwungen sind, der ständigen Beschleunigung unseres Lebens Einhalt zu gebieten, erwächst hieraus vielleicht sogar ein Moment der Hoffnung. Die vormals schon oft eingeforderte Entschleunigung hat gerade an Dringlichkeit gewonnen – und mag vielleicht eines der wenigen guten Dinge sein, an die es sich lohnt, auch nach der gegenwärtigen Krise festzuhalten. Wann also könnte eine bessere Zeit sein als jetzt, endlich einmal sorgfältiger und genauer hinzuschauen? In diesem Sinne hatte auch Faye Hirsch in der Besprechung eines anderen Graphikzyklus von Anton Würth vor einigen Jahren schon bemerkt: “Die Zeit, die er jedem seiner Projekte widmet, scheint sich groβzügig auf den Betrachter zu übertragen, der in der Hast von Technologie und Spektakel gefangen ist, und wir können die Rast genieβen, die er uns jedes Mal aufs neue wieder anbietet.”