Workshop
Schriftproben in der Forschung – Interdisziplinäre Perspektiven aus Wissenschaft, Sammlungseinrichtungen und Design
10. / 11. Juni 2022
Deutsches Technikmuseum
Um ihre Sortimente an Schriften, Sonderzeichen und Schmuckelementen bei den Buchdruckereien zu bewerben, gaben Schriftgießereien ab Mitte des 19. Jahrhunderts teils aufwendig gestaltete und hochwertig gedruckte Schriftproben heraus. Darin wurden Druckschriften als globale Handelsprodukte vermarktet, die den modernen Printmedien nicht nur Substanz und Form gaben, sondern auch ihre symbolische Zeichensprache mitgestalteten. Lange führten Schriftproben als Randerscheinungen der Druckgeschichte ein Schattendasein in den Sammlungen von Archiven, Bibliotheken und Museen. 2021 wurde nun eine weltweit herausragende Auswahl dieser Artefakte durch das Berliner Digitalisierungsprojekt »Die Sichtbarmachung des Sichtbaren. Berlins typografisches Kulturerbe im Open Access« für die weltweite Typographie-Forschung online zugänglich gemacht.
Im Anschluss daran möchte dieser Workshop erstmalig disziplinär unterschiedliche Perspektiven auf diese besonderen Medien der Schrift- und Druckgeschichte zusammentragen. Ziel ist es einerseits, theoretische und methodische Herangehensweisen für eine historische Beforschung von Schriftproben ansatzweise zu skizzieren, wodurch auch die Rolle der Objekte als Primärquellen insbesondere für literatur-, sprach-, medien-, kultur-, kunst- und designwissenschaftliche Arbeiten in den Fokus rückt. Andererseits stellt sich für das heutige Schriftdesign die Frage, welchen gestaltungsmethodischen Sinn und Zweck die Auseinandersetzung mit historischen Schriftvorlagen, wie sie in jüngster Zeit wieder verstärkt zu beobachten ist, für das Entwerfen neuer digitaler Fonts haben kann.
Für einen ersten systematischen Einstieg werden mit Blick auf die vielfältigen Rollen und Funktionen von Schriftproben vier thematische Zugänge vorgeschlagen, die jeweils eine mögliche Beschreibungs- und Deutungsdimension eröffnen und unterschiedliche Schriftbegriffe aufrufen. Demnach lassen sich Schriftproben interpretieren
1. in ihrer ökonomischen und technologischen Dimension als Vertriebs- und Marketinginstrumente. In Schriftproben zeigt sich Schrift als Handels- und Konsumware, die herstellungstechnischen und betriebswirtschaftlichen Strukturen unterworfen ist.
2. in ihrer ästhetischen Dimension als Design- und Kunstobjekte. Schriftproben adressieren Schriftzeichen primär in ihrer Bildlichkeit, als Objekte des schriftgestalterisch-künstlerischen Entwerfens.
3. in ihrer semiotischen Dimension als Zeicheninventare. Schriftproben verdeutlichen die symbolischen Potenzale von Schriftbildern, konnotative Verknüpfungen zu Dingen, Inhalten und Emotionen herzustellen.
4. in ihrer epistemischen Dimension als Ordnungswerkzeuge. Schriftproben sind seit dem 19. Jahrhundert historisch eng verbunden mit der Entwicklung von Schriftklassifikationen. Mit Schriften lassen sich somit nicht nur symbolische Ordnungen herstellen, sondern sie werden auch selbst Ordnungskriterien und Ordnungslogiken unterworfen.